Interview mit der Stiftungsrednerin Ise Bosch

Für das Stiftungstage-Magazin haben wir uns mit Ise Bosch, unserer diesjährigen Stiftungsrednerin, unterhalten. Sie spricht über das Verteilungsproblem von Reichtum und Macht, Philanthropie und eine zentrale Aufgabe von Stiftungen. Ise Bosch hat filia.die frauen-stiftung mitgegründet und ist Geschäftsführerin von Dreilinden, Gesellschaft für gemeinnütziges Privatkapital.

Hier das Interview zum Nachlesen:

Sie sind Stifterin, Autorin – und Spendenaktivistin. Was hat Sie zur Aktivistin gemacht?

Ich bevorzuge den englischen Begriff »donor activist«. Das bedeutet für mich, dass ich nicht nur Geld gebe, sondern auch Möglichkeiten schaffen möchte, dass dabei wirklich der Gerechtigkeit gedient ist. Gerechtigkeit ist so ungeheuer wichtig. Gerade beim Geben kann man gesellschaftliche Teilhabe und eine faire Verteilung von Geld und Macht fördern.

Sie unterstützen zahlreiche Organisationen und Stiftungen. Woher kommt Ihr philanthropisches Engagement?

Ich hatte schon jung die Chance, viel zu reisen, und habe soziale Ausgrenzung auch selbst erlebt. Ja, ich gebe Geld für soziale Zwecke  –  mein  Motto  dabei  ist  »Change, Not Charity!«. Ich mische mich in öffentliche Debatten zum Stiftungswesen ein, stelle Fragen, die mit der Machtverteilung zu tun haben, und wünsche mir einen breiteren gesellschaftlichen Zugang zu Entscheidungen. Stiftungen können hier viel bewegen und auch mit gutem Beispiel vorangehen, wie durch demokratische Stiftungsarbeit.

In einem Interview sagten Sie, sehr große Vermögen seien schädlich für Demokratie.

Ja, weil Geld immer mit Macht zu tun hat. Und diese darf schließlich nicht in der Hand weniger liegen. In einer Demokratie sollte Macht auf möglichst viele Schultern verteilt sein. Die Vermögen an sich sind nicht das Problem, die Verteilung ist es!

Sie engagieren sich für feministische und LGBTIQ-Projekte. Wo stehen wir da gerade gesellschaftlich?

Global betrachtet hat die Pandemie die Situation für die LGBTIQ-Community verschlimmert, zum Beispiel weil Mobilität und Räume für Austausch und Vernetzung stark eingeschränkt waren. Es gibt auch gewisse Fortschritte, vor allem auf rechtlicher Ebene. Der berühmte Spruch »Canary in the Coal Mine« gilt besonders für LGBTIQ – wenn es ihnen gut geht, ist das ein Zeichen dafür, dass die ganze Gesellschaft auf einem guten Weg ist. Hier sind auch Stiftungen gefragt, zu einem positiven Wandel aktiv beizutragen – sprich: Ausgrenzung wahrzunehmen, Lebensbereiche zu verknüpfen, Teilhabe zu ermöglichen.

Die Hamburger Stiftungstage 2022 drehen sich um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was macht Zusammenhalt für Sie aus?

Erst einmal brauchen wir guten Streit! Gesellschaft muss mit den Ängsten anderer um gehen können und Meinungsunterschiede aushalten. Viele Stiftungen verfügen über die Ressourcen, Räume mit breiten Zugängen zu eröffnen, um konstruktive »Streitorte« ins Leben zu rufen. Durch Corona ist in der Stiftungswelt bereits einiges in Bewegung gekommen – ich hoffe, dass diese Entwicklung weitergeht und Stiftungen weiterhin den wichtigen gesellschaftlichen Debatten eine Bühne bereiten.

Was hält uns als Gesellschaft zusammen? Das Aufeinander-angewiesen-Sein im besten Sinne, Solidarität miteinander, Offenheit füreinander und die Teilhabe aller an Entscheidungsprozessen. Und das Engagement jeder und jedes Einzelnen: Das geht schon beim Steuerzahlen los, heißt für mich aber auch, dass diejenigen, die viel Geld und /oder viel Macht haben, dies zum Wohle aller einsetzen.

 

Foto: Peter van Heese

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